Das Merkwürdigste aus der Natur,
geschichte oder Naturbeschreibung.
Aerr Trautmann war der einzige Lehrer an einer
sehr zahlreichen Volksschule, für welche er beinahe den
ganzen Tag bis spät am Abend und zuweilen auch in
die Nacht hinein zu thun hatte. Denn da er sich auf
seinen Unterricht sehr gründlich vorbereitete, die von
den Kindern gefertigten kleinen Arbeiten genau durch-
ging und in sein Tagebuch nach dem Schluß der
Schule immer die eine und andere Bemerkung einzu-
tragen hatte: so schlug ihm nur selten eine Freistun-
de. Dazu kam noch, daß, wenn für manche Unter-
richtsgegenstände die festgesetzten Schulstunden nicht aus-
reichen wollten , Herr Traittmann sich bewogen fand,
sie für die Kinder der Oberclaffe in mancher Woche
um eine, wohl auch um zwei zu vermehren. Denn
von Naturkunde, Erdbeschreibung, Weltgeschichte u. f.
w. konnte in seiner so zahlreichen Schule nur sehr wer»
nig die Rede sein. Gleichwohl war Herr Trautmann
gerade e,n recht warmer Freünd der Natur. Schon
in früher Jugend hatte er sie als einen klaren Spiegel
der unendlichen Größe Gottes, seiner Macht, Weis-
heit und Vaterliebe betrachten gelernt und es später
auf dem Dorfe zu oft erfahren, welche reine und er-
habene Freüden der Umgang mit ihr gewähre, als
daß er nicht hätte auch die ihm anvertrauten Kinder
so viel als möglich mit ihr bekannt machen und recht
oft in ihren heiligen Tempel einführen sollen. Dazu
1
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T66: [Geschichte Iii Vgl Nr. Aufl Gesch Lesebuch Bild fig deutsch]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T84: [Körper Kopf Tier Fuß Bein Insekt Eier Zahn Nahrung Haut], T111: [Kind Mutter Vater Eltern Frau Jahr Knabe Schule Haus Mann]]
101
schonte nicht meinen Sonntagsmorgen; nicht erhe-
den würde ich mich mit meinen Nachbarn in from-
mer Liederandacht zu meinem Gott, nich verneh-
men des Predigers Wort; die freundliche Stunde,
welche wir jetzt lehrreich verplaudern , flösse still
und traurig uns hin. Ach, wie öde wäre das Le-
den ohne das himmlische Geschenk des kunstvoll
gebauten Obres! Wie der Schall entsteht und in
das Ohr gelangt, wird euch euer Lehrer in den
Stunden über Nalurlehre wohl schon erklärt ha-
den ; wie er aber im Ohre sich fortpflanzt und zum
Gehirn gelangt und ins Bewusstsein kommt, das
verstündet ihr wohl nicht, wenn ich eüch auch
mittheilte, was ich darüber gehört und gelesen
habe. Dieselbe Bewandtniss hat es mit den innern
Werkzeügen des fünften und edelsten Sinnes, des
Gesichts. Ich müsste eüch wohl wenig Über-
legung Zutrauen, wenn ich eüch erst auf die Vor-
theile aufmerksam machen wollte, welche ihr dem
unschätzbaren göttlichen Geschenke des Auges ver-
dankt. Ruft eüch nur einen Spaziergang, nur ei-
ne belehrende Stunde vor dem Bilderbuche in das
Gedächtniss zurück; wie hat sich Herz und Geist
da belustigt und bereichert! Nicht wahr, ihr wollt
sie schonen, diese Himmelsgabe? Wollt nicht klei-
nere Gegenstände, die Schrift eiires Buches, eüre
Strickerei u. s w. gar zu nahe an die Augen hal-
ten? Wollt schnell das Buch weglegen, wenn
Dämmerung eüch überrascht ? Schnell einen andern
Platz wählen, wenn der blendende Sonnenstrahl
auf eüere Natherei fällt? Nicht, wie ungezogene
Kinder thun, den Staub der Strassen aufraffen und
eüch ins Gesicht werfen? Nicht muthwillig wet-
tend in das flackernde Licht sehen ? Wollt frisches
Wasser nicht schonen? — Hunderte von Schritten
können sein zwischen uns und dem Gegenstände,
den vvir riechen; Meilen Weges fluthet und wogt
die Luft, um des Donners Brausen in unser Ohr
zu bringen; aber wie viel weiter reicht das Auge!
Schaut dort das verblassende Abendroth; vor kur-
zer Zeit saht ihr den feiirigen Sonnenball dort
hinabsinken 1 Schaut dort den Mond, wie er hin-
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit]]
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Arten ihrer Wirksamkeit, kann euch die verschiedenen
Seclenkräfte kennen lehren.
Ich verbinde dir jetzt die Augen, Christoph, so
sicher, daß du mir nichts sehen sollst. Jetzt aufgep§ßt!
Weißt du Etwas? — Ja, dui hast die obere Flache
meiner Hand mit einem kalten und glatten Gegenstände
bestrichen. — Ich laste diesen Gegenstand auf den Tisch
fallen. Was weißt du? — Es muß ein weicher und
runder Körper sein; das höre ich am dumpfen Tone
und an dem Gekoller. — Jetzt soll deine Seele auch
Etwas durch die Nase wissen. — Aha, es ist eine
Frucht; ich dachte, ein Apfel wäre es. — Das sollst
du gleich genauer wissen. Koste nur! — Richtig! und
wahrscheinlich ein Stettiner. — Weißt du das nicht
ganz gewiß? — Ganz gewiß weiß ich cs doch nicht. —
Nun denn herunter mit dem Tuche! Weißt du cs jetzt
gewiß? — Ja, es ist ein Stettiner. — So seht nur,
Kinder, was Schulmeisters August jetzt Alles durch
seine Sinne gewußt hat! — Was denn, Vater? Ich
bin doch nicht Schulmeisters August, rief Christoph,
und die andern Kinder lachten und klatschten in die
Hände und riefen: — Das ist spaßhaft! Du weißt
also, Christoph, daß du nicht Schulmeisters August bist,
und ihr Kinder alle wißt, daß ihr vergnügt seid, und
warum ihr lacht. Da habt ihr denn alle jetzt Gebrauch
gemacht von einer Kraft eurer Seele, von dem Be-
wußtsein; denn dieses ist eben die Kraft, durch
welche wir äußere Eindrücke mir mehr oder weniger
Bestimmtheit auffassen; durch welche wir uns selbst von
dem, was außer «ns da ist, unterscheiden; durch wel-
che wir wissen, in welchem Zustande wir eben sind.
Wo wart ihr denn heute vor acht Tagen? —Auf
dem Jahrmärkte, riefen sie. Ach das war schön!
Weißt du die'aepntzlen Männer, die auf dem Seile
tanzten! sagte Gottlieb zur Marie. Ach, und die herr-
liche Musik! setzte diese hinzu. Und die süßen Brezeln!
jauchzte Gottlieb, indem er mit der Zunge schnalzte.
Fritz aber machte fast ein weinerliches Gesicht und
weinte, cs wäre Alles recht schön gewesen, wenn ihn
nur der grobe Schubkärrner nicht umgestoßen hätte.
Aus der Brausche am Kopfe wollte er sich gar nicht
so viel machen, wenn nur seine Sonntagskleider nicht
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Extrahierte Personennamen: Christoph August August Christoph Christoph August Gottlieb_zur_Marie Gottlieb
118
Sollte es auch ein kleines Unrecht sein, wenn man den
Eigensinnigen zur Herausgabe seines Besitzthums zwän-
ge: so könnte man das wohl durch doppelte und drei-
fache Bezahlung vergüten. Der König aber sprach:
Nach den bürgerlichen Rechten kommt es mir nicht zu,
dem Manne sein Grundstück zu nehmen. Er behalt
es! Das war wiederum rechtlich gehandelt. Daß aber
selbst Rechtlichkeit nicht die einzige Richtschnur sein
kann, nach welcher unser Begehrungsvermögen thätig
sein soll, mag eüch folgender Fall lehren. Hans hatte
frühzeitig seine Eltern verloren. Ein Paar alte Leüte,
die selbst nur das Nothdürftige hatten, nahmen sich
seiner an und zogen ihn groß. Als er erwachsen war,
gewann er ein Mädchen lieb, die eben so arm war,
als er selbst. Er wollte sie heirathen; aber die Eltern
des Mädchens sagten, erst müsse er so viel verdienen,
daß er eine eigne Wirtschaft anfangen könne. Durch
rastlose Thätigkeit und durch eine kleine Erbschaft von
einem Verwandten hatte er es nach mehreren Jahren
so weit gebracht. Aber unter der Zeit waren seine ar-
men Pftegeeltern durch Unglücksfälle so weit herunter
gekommen, daß deren Haüschcn verkauft werden sollte,
um ihre Schulden zu bezahlen. Gleichzeitig hatte sich
bei den Eltern des Mädchens ein wohlhabender Bauer
als Freier gemeldet, und sie erklärten, daß sie dem ihre
Tochter zur Frau geben wollten, wenn Hans nicht von
seinen Pflegeeltern abließe. Jetzt hatte Hans die Wahl,
entweder, seine braven Pflegeeltern am Bettelstäbe zu
sehen/ oder der Erfüllung eines Lieblingswunsches zu
entsagen, für welchen er Jahre lang gearbeitet hatte.
Leüte genug gab es, welche es unklug fanden, daß
er dieser alten Leüte wegen sein ganzes Glück von sich
stoßen wollte. Daß kein bürgerliches Gesetz ihn zwin-
gen konnte, sich seiner Pflcgeelrern anzunehmen, wußte
Hans auch. Ihm aber sagte seine Vernunft: Wie
wollte ich denn vor Gott und meinem Gewissen be-
stehen, wenn ich jetzt die verließe, welche sich meiner
hüflosen Jugend angenommen haben? Wenn so gräß-
licher Undank Sitte sein sollte unter den Menschen,
was sollte da aus der menschlichen Gesellschaft werden?
Und wäre ich nicht ein Thor, für die Freüden dieses
kurzen Lebens die Qualen mir zu kaufen, mit denen
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die Erinnerung an diesen Undank auf, dem Todenbette
und in jenem Leben mich plagen würde ! Er that,
was er nicht lasten konnte, nahm sich seiner Pflegeel-
tern an und verlor sein Mädchen. Das war vernünf-
tig und edel gehandelt! — Ach, Kinder, daß so viele,
so sehr viele Menschen nur sinnlich begehren und sinn-
lich verabscheüen, wie die Thiere, das bringt ja so viel
Unglück in die Welt! Handelten sie klug und recht-
lich: so würden wenigstens die gröbsten Laster, Trunk,
Spiel, Schamlosigkeit und andere aus de.r menschlichen
Gesellschaft verbannt sein; so würden nicht Prozeffe
den Frieden der Gemeinden stören, nicht verheerende
Kriege die Länder verwüsten! Handelten sie aber alle
vernünftig und edel, wie auch unsere Religion es will:
dann, ach dann hätten wir den Himmel schon hier auf
Erden.
11) Geh' mit kleinen Kindern vernünftig um!
Ehrmann hatte noch ein kleines Kind, welches
kein volles Jahr alt war und daher, wenn die Mutter nicht
abkommen konnte, von Marien gewartet werden mußte.
Diese Wartung beschränkte sich aber nicht darauf, daß
Marie das Kind herumtrug oder es beaufsichtigte,
wenn es für sich da saß; sondern die Mutter gab Ma-
rien auch Anweisung, wie sie ihr kleines Geschwister
reinlich zu halten und zu beköstigen hätte. Denn Rein-
lichkeit, sagte Frau Ehrmann, kostet kein Geld, und
zweimal waschen ist so gut, wie einmal füttern. Da-
her mußte Marie nicht nur ihren kleinen Geschwistern
mehrere Male des Tages Gesicht und Hände waschen;
sondern so oft es nur immer die Zeit erlauben wollte,
nahm die Mutter selbst die kleinern Kinder, welche
noch nicht baden gehen konnten, vor und wusch sie
am ganzen Leibe. Frau Ehrmann war sehr sanft; aber
wenn sie hörte oder sah, daß Mütter ihre armen klei-
nen Wiegenkinder Stundenlang ohne Hilfe in ihrem
Unrathe sich wälzen ließen, konnte sich ihr Unwille bis
zum Zorne steigern. Christophen und Marien hätte ich
nicht rathen wollen, ihre kleineren Geschwister mit un-
gekämmten Haaren oder unbeschnittenen schmutzigen
Nägeln mit in die Schule zu nehmen, oder wohl gar
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Extrahierte Personennamen: Ehrmann Marie Ehrmann Marie Ehrmann
121
Tragen ein Kind am Körper schief machen kannst, eben
so gut kannst du eö durch unverständiges Geschwätz an
der Seele schief machen. Laß dir erzählen! Als ich
noch Soldat war, mußte ich oft Schildwache stehen
auf einem freien Platze, wo die Kindermädchen ihr
Wesen trieben. Unter ihnen fielen mir zwei auf durch
ihr verschiedenes Benehmen, wenn die Kinder auf ih-
ren Armen unruhig wurden und mit ihren Händchen
bald da, bald dorthin strebten. Die eine fing gleich an,
über das ungezogene Kind zu schelten, schlug eö auf
die Finger und bedrohete es, wenn es weinte. Sie
-brachte es auch wirklich dahin, daß cs bald alle Tage
ruhiger auf ihrem Arme saß, so daß die Mc>gd ihr
nutzloses Geschwätz mit andern Mädchen ihres Sinns
ungestört führen konnte. Daran dachte sie nicht, daß
sie es auf dem Gewissen haben würde, wenn das Kind
stumm und stöckisch würde. Die andere sah sofort da-
hin, wohin das Kind griff, und war es irgend thun-
lich: so näherte sie sich dem Gegenstände. Bald war
eö ein Vogel. Ei, das Vögelchen frißt, hieß c's da;
über die schönen gelben Federn! Sie ahmte wohl! auch
des Vogels Stimme nach. Bald war eö eine metallene
Platte. Da führte sie des Kindes Hand darüber Das
ist einmal glatt, sagte sie, oder das hat die Sonm: heiß
gemacht. Bald war eö eine Blume. Die mußtd ge-
rochen und besprochen werden. Einst gingen beide hart
an mir vorüber; die Kinder langten nach mir her.
Die unverständige Magd rief sofort: Hui, reiß aus,
der schießt dich todt! und damit schoß sie mit rohem
Gelächter fort; das Kind schrie halb aus Furcht, k>alb
aus Unwillen über die Versagung seines Wunsches.
Die andere blieb einige Augenblicke stehen und namnte
dem Kinde mit verständlichen Worten die Gegenstände,
die ihm vorzüglich an mir ins Auge sielen. Da aber
das Kind näher an mich heran wollte, als ich hätte,
gestatten dürfen: so sagte sie: Das darfst du nicht!
und brachte cs ohne Geschrei von mir, indem sie es
auf andere Gegenstände aufmerksam machte. Ich wur-
de mit den beiden Mädchen bekannt, und da sie hier
in der Nähe sich verheirathet haben; so besuchte ich sie
vor einiger Zeit. Als ich zur ersten kam, hatte sie ein
beinahe zweijähriges Mädchen auf dem Arme, welches
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123
auf das Händchen und ähnliche Späße. Griff das
Kind nach einem Glase: so wurde ihm nicht durch
ein: Fi, fil weiß gemacht, als ob das Glas etwas
Ekelhaftes wäre, sondern es hieß: Nein, nein, das
zerbricht! Wenn das Kind dieß auch noch nicht ver-
stand; so ließ es sich doch bedeüten, weil es ohnehin
nicht gewohnt war, daß man ihm auö Eigensinn oder
Trägheit Etwas erst versagte, was man doch gewährte,
sobald das Kind schrie und zappelte. Sobald man ein-
mal für nothwendig gehalten hatte, ihm Etwas zu ver-
sagen; so blieb es dabei, und das Kind sah also wohl
bald ein, daß es mit Schreien Nichts ausrichtete. An
ein Einschüchtern mit dem Popanze und ähnliche Dumm-
heiten war nicht zu denken.
Marie mochte des Vaters Worte wohl auch dem
Christoph mitgetheilt haben; denn beide beschäftigten
sich von da an recht viel mit ihren andern kleinen Ge-
schwistern. Bald malten sie ihnen Buchstaben vor;
bald ließen sie dieselben zählen. Abends, wenn der
Vater nicht Zeit hatte, sich mit den Kindern zu be-
schäftigen, erzählten wohl die großen Geschwister den
kleinen Manches von dem, was sie in der Schule ge-
hört hatten; oder sie stellten Spiele an, wo jedes ein
Hausthier und ein wildes Thier nennen mußte; oder
sie zählten nach der Reihe Handwerker auf mit ihren
Werkzeugen und Erzeüguissen. Auf diese und ähnliche
Art füllten sie die Stunden, wo sie nicht in der Schule,
oder auf dem Felde, oder im Garten arbeiteten, auf
eine angenehme und lehrreiche Weise auö, und wurden
schon dadurch vor mancher Unart bewahrt, daß sie
niemals Langeweile hatten.
12) Gesund und krank.
Als Ehrmann eines Abends mit seinen Kin-
dern vom Felde nach Hause ging, sahen sie einen
langen Menschen, welcher allerhand Possen trieb
und von einem Haufen Buben verfolgt wurde, die
ihn hühneten und verspotteten. Er aiisserte seinen
Unwillen darüber, dass die bösen Buben einen
Kranken so misshandelten, und verjagte sie« So-
gleich fingen die Kleinen an ; Ist denn Toffel krank ?
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127
fendste Wüstling, der ärgste Trunkenbold, der lii-
derlichste Spieler kann diese Laster ablegen; denn
ihn treibt nicht ein blinder Naturtrieb, wie die
Thiere, sondern er hat den freien Willen, zu wäh-
len, was gut oder schlecht ist; auch fehlt es nicht
an Beispielen von Menschen, welche diese Ände-
rung zum Bessern an sich erzwungen haben. Thut
er es also nicht: so fehlt es an einem dauernden
guten Willen, und er mag dann wenigstens nicht
auf das mitleidige Wohlwollen Anspruch machen,
welches man dem wirklichen Kranken schenkt«
Sein Unglück kann man nur mit einer starken Bei-
mischung von Unwillen beklagen; denn unglück-
lich ist er, unglücklicher, als der, dessen Seele
von unheilbarem Wahnsinne umnachtet ist. Der
unter körperlichen Leiden wimmert, sieht mit hof-
fender Seele dem Tod entgegen; der von des Wahn-
sinns Nacht umfangen ist, wird in einem neüen
Leben das Licht der Seele wieder empfangen; der
aber in den Sumpf der Laster sich versenkt hat,
der muss ja in jenes Leben den nagenden Wurm,
das quälende Bewusstsein mit hinüber nehmen, dass
er viehisch gelebt hat auf der Erde, nicht mensch-
lich, wie sein Gott es wollte. Wie soll er vor
dessen Angesicht treten!
13) Schlaf und Tod.
Ehrmann war seit einigen Tagen recht still und
traurig. Seine Kinder suchten ihn durch allerlei
schmeichelnde Liebkosungen wieder heiter zu ma-
chen; und als es ihnen doch gar nicht recht gelin-
gen wollte: da konnten sie sich nicht länger ent-
halten, ihn zu fragen, ob er mit ihnen unzufrie-
den wäre. — Nein, Kinder, ihr seid nicht die Ur-
sache meines Schmerzes; sondern ich habe vor ei-
nigen Tagen die Nachricht erhalten, dass mein be-
ster Freünd, welcher mit mirfreüd und Leid ge-
theilt hat, als ich noch Soldat war, gestorben ist.
Da fingen die Kinder an, den bösen Tod zu
schelten, der so viel Kummer verursache. — Ihr
sprecht, wie man es von Kindern erwarten muss,
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271
Strecken lagen? Darf man sich wundern, wenn
des Bergwerks Segen reicher und immer reicher
floss, der Handwerker munter und lustig sich regte,
des Kaufmanns Betriebsamkeit wuchs, Gelehrte und
Künstler sich ermuthigt fühlten, der Wohlstand
des Landes allgemein ward ? Nur ein Stand war
nicht in Blütke. Auf den Soldatenstand verwendete
August verhältnissmässig geringe Summen. — Ganz
desselben Sinnes, wie August, war auch seine Ge-
mahlin, welche das Volk nur die gute Mutter
Anna nannte, und von welcher man zu sagen
pflegte, dass der Arme mit ihr einen Beutel, eine
Küche und eine Apotheke habe. Die Bauernfrau
glaubte gar nicht, dass sie ein niederes Geschäft
triebe, wenn sie molk und butterte; denn die Mut-
ter Anna that das auch; der Bauer und Gärtner
schämte sich seiner Beschäftigung gar nicht; denn
er hatte den Vater August säen, pflanzen und ocu-
liren sehen. Im Sinne dieses edlen Fürstenpaares
handelte auch Barbara Uttmann, die Frau eines
llathsherrn zu Annaberg, welche seit 1562 die jun-
gen Mädchen dieser Stadt um sich versammelte, um
sie die Kunst des Spitzenklöppelns’ zu lehren,
welche sie in den Niederlanden gelernt haben mochte;
eine Beschäftigung, welche seitdem Tausenden Ar-
beit und Brod gegeben. Barbara, die Spitzenmut-
ter, ist noch jetzt im Erzgebirge gesegnet, wie
Mutter Anna im ganzen sächsischen Vaterlande.
O es war eine schöne Zeit, wo der gemeine Mann
den Landesvater und die Landesmutter so oft in
seiner Mitte sah, theilnehmend an seinen Arbeiten
und Erholungen, an seinen Freüden und Leiden in
unmittelbarer Nähe, nicht getrennt von ihm durch
fremdartige Umgebungen! Dafür war aber auch
nngeheissen allgemeine Trauer im Lande, als Mut-
ter Anna 1585 und ein Jahr später Vater August
starben; kein Auge blieb trocken — und die Thrä-
nen würden damals noch bitterer geflossen sein,
wenn man schon damals gewusst hätte, dass von
nun an fast 200 Jahre lang kein freiidiger Held,
wie Friedrich der Gebissene, kein Pfleger des Lich-
tes und der Wahrheit, wie Friedrich der Weise,
TM Hauptwörter (50): [T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn]]
TM Hauptwörter (200): [T111: [Kind Mutter Vater Eltern Frau Jahr Knabe Schule Haus Mann], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T61: [Wilhelm Friedrich Prinz König Luise Jahr Königin Gemahlin Prinzessin Kaiser], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T94: [Stadt Fabrik Handel Dorf Schloß Weberei Einwohner Einw. Nähe Bergbau]]
Extrahierte Personennamen: August August Anna Anna August Barbara_Uttmann Barbara Anna August Friedrich_der_Gebissene Friedrich Friedrich Friedrich
289
das nächste Dorf durften sie nicht. Die Söhne des
Jammers waren ja Leibeignei Nicht nur Feld und
Hof, auch ihr Leib, Weib und Kinder waren Eigen-
thum des Herrn. Der konnte sie vermiethen, verkau-
fen, verschenken, verspielen, einzeln oder im Ganzen,
wie ihr eure Heerden; sie selbst hatten über sich Nichts
zu bestimmen; wo sie wohnen, was sie treiben, ob
und wen sie heirathen sollten, das Alles war des Her-
ren Sache. Ja, eüren unglücklichen Vorfahren fehlte
die erste Bedingung der Menschenwürde — sie waren
nicht frei. — Wie mag es nun mit den leiblichen Be-
dürfnissen derselben bestellt gewesen sein? Ihr Bau-
ern seid zwar in der Regel mit einfacher Kost zufrie-
den und vergnügt; aber an hohen Festtagen kommt
doch ein Braten ins Haus, und selbst der Tagelöhner
läßt dann seinen Kuchen backen; am Jahrmärkte macht
ihr eüch einen guten — oft nur zu guten — Tag;
und an Ehrentagen, wie Hochzeiten und Kindtaufen,
geht es hoch her; ja selbst der Ärmste unter eüch hat
durch Kaffee und Tabak einen Genuß gewonnen, von
welchem man vor zweihundert Jahren gar Nichts wußte.
Wie hätten in einer Zeit, wo gebratene Eülen und
wilde Katzen selbst auf den Tafeln der Neichen erschie-
nen, die armen Leibeigenen an solche Ergötzlichkeiten
denken können? Hätten sie auch mehr, als das trocke-
ne Kleienbrod gehabt, sie würden doch keine Ehrentage
gefeiert haben. Oder hätten sie die Hochzeilfeier begehen
sollen, welche des Grundherrn Wille befohlen hatte,
oder die Kindtaufe, welche dem Herren einen neüen
Sklaven lieferte? Selbst das trockene Brod fehlte ih-
nen oft genug. Da nämlich auö begreiflichen Grün-
den die Acker nur höchst nothdürftig bestellt und die
ärmlichen Ernten nicht nur durch große Kriege, son-
dern auch in den taufend kleinen Fehden der Ritter
fortwährend verwüstet wurden: so gehörten Hungers-
nöthe, welche in neüern Zeiten durch bessern Anbau
der Felder, hergestellce Ruhe und Verbreitung der da-
mals noch ganz unbekannten Kartoffeln immer selte-
ner werden, zu den allergewöhnlichften Erscheinungen.
— Nun die Kleidung. Das sind wohl arme Leüte un-
ter eüch, die nicht ein Feiertagskleid zum Kirchgang
hätten, und noch Wenigere wird es geben, welche nicht
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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